Spaziergang der anderen Art

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Eigentlich könnten mein Mann und ich trotz Ausgangssperre nach 20 Uhr abends noch spazieren gehen, denn: Wir haben einen Hund, und Gassi gehen ist erlaubt! Allerdings hält unsere Hundedame davon rein gar nichts.

Deshalb machen wir abends oft einen anderen Spaziergang – durch internationale Nachrichtensender. In Nicht-Krisenzeiten haben wir das als sehr erhellend erlebt … Wie wird EIN Ereignis in den Nachrichtensendungen aus Frankreich, England, USA, Russland, Türkei und dem arabischsprachigen Umfeld dargestellt? Welche Aspekte werden genannt, und welche Videosequenzen werden genutzt? Da entdeckt man Perspektiven, auf die man/frau selbst im Leben nicht gekommen wäre. Und ich merke, wie schlüssig die verschiedenen Wirklichkeitswahrnehmungen in sich sind. In Krisenzeiten helfen mir diese verschiedenen Perspektiven bei der Einordnung von Ereignissen und Entwicklungen.

Trotzdem leide, hirne, kämpfe ich mit der Frage, wie das Gespräch zwischen Menschen unterschiedlichster Wirklichkeitswahrnehmungen gelingen kann. Und das Zusammenleben.

Ich leide, weil ich selbst merke, wie mein Blutdruck nach oben und meine Bereitschaft zur Begegnung nach unten geht, wenn ich bestimmten Positionen oder Meinungen begegne. Ich hirne darüber, wie wir an diesen Punkt gekommen sind – global, national und persönlich ... und frage mich, wie wir gute Schritte nach vorne und aufeinander zu finden können. Ich kämpfe damit, selbst nicht das zu machen, was ich anderen vorwerfe: unreflektiert, polemisierend, eindimensional eine Meinung zu hochkomplexen Entwicklungen und Situationen zu äußern – inklusive dem „blame game“, d.h. der Suche nach Sündenböcken.

Deshalb bin ich froh um unsere äußerst engagierten Diskussionen im AWM-Team in den Mittagspausen – wo ich dann sanft ermahnt werde: „Na, so pauschal kann man das auch nicht sagen!“ Und ich bin froh um die Lernziele der Studiengänge an der AWM (siehe MA-Studierendenhandbuch, Seite 5 und 6), wo sich u.a. diese Formulierungen finden lassen:

- ... sensibel und effektiv biblische und religiöse sowie ethische Fragestellungen und Themen entwickeln und bearbeiten ...

- ... Verständnis und Praxis von Leiterschaft reflektieren ... so dass diese unter den sich ständig wandelnden kontextuellen Herausforderungen ... ausgeübt werden kann.

- … Prinzipien kennenlernen, die helfen, verschiedene Kulturen, Weltanschauungen und Religionen zu analysieren und zu erforschen ... relevante Strategien für das eigene Leben und Arbeiten entwickeln.

Es macht mir Hoffnung, an dem mitzuarbeiten, was Melissa Sailer in der Einleitung des Allgemeinen Studienhandbuchs der AWM so zusammengefasst hat:

Bildung ist ein Privileg, eine enorme Möglichkeit, bisherige Erfahrungen zu reflektieren und die Zukunft zu gestalten. Es ist unser Ziel, unsere Studierenden darin zu fördern, „Reflective Practitioners“ zu werden.

Solches Lernen hat Gegenwartsbezug und Zukunftswert

01.02.2021