Wir sagen Herz und meinen oft Bauch

Wir sagen Herz und meinen oft Bauch

„Es war wieder einmal zu wort- und zu kopflastig“. Man hört sie immer wieder und immer mehr: die Kritik an unseren Gottesdiensten und an der kirchlichen Bildung. Bilder und Emotionen sind angesagt. Jede Botschaft muss visualisiert und emotionalisiert werden. Man wagt es fast nicht mehr, eine Predigt oder einen Vortrag zu halten, ohne PowerPoint oder Videoclip.


Wir haben es zunehmend mit einer Generation zu tun, die „mit den Augen hört und mit den Gefühlen denkt“, sagte Ravi Zacharias einmal. Ich kann die Entwicklung vom Hören und Denken zum Sehen und Fühlen nachvollziehen. Eine Kultur, die wohl zu lange einseitig auf Theorien und Verstand gesetzt hat, muss umlernen. Das gilt auch für theologische Bildung und Kirche. Der Mensch ist eben mehr als Kopf und Verstand!
Und so gilt denn der didaktische Grundsatz: Wir dürfen nicht nur den Kopf ansprechen, wir müssen die Herzen erreichen – und natürlich muss das alles dann auch zur Hand, d.h. zum Handeln führen.


Was mich an diesem Statement irritiert, ist das Herz. Ich habe den Verdacht, dass wir oft Herz sagen, aber Bauch meinen. Der Bauch ist bildhaft der Sitz der Gefühle, der subjektiven Empfindungen, der Begierde und der Triebe. Natürlich gehört der ‚Bauch‘ auch zum Menschen und die subjektive Emotionalität soll in unserem Leben Raum haben. Aber der ‚Bauch‘ ist kein verlässliches Steuerorgan für das Leben. Im biblischen Menschenbild ist das Herz das Steuerzentrum – da, wo Entscheidungen getroffen werden, da, wo Tugenden und Charakter ihren Sitz haben, da, wo der Mensch Gott begegnet und sein Reden ‚hört‘.
C.S. Lewis hat vor Jahren in seinem Büchlein „The Abolition of Man“ (deutsche Ausgabe: „Die Abschaffung des Menschen“) Klartext gesprochen. Seine These sollte uns aufhorchen lassen: Wenn die Menschheit meint, sie könne das Defizit einer einseitigen Vernunftgläubigkeit durch mehr Bauchgläubigkeit korrigieren, ist sie auf dem Holzweg. Sie wird sich selbst abschaffen. Wir brauchen Menschen mit Herz (Lewis sagt ‚Brust‘).


Im selben Jahr (1943) schrieb Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis den denkwürdigen Text „Nach zehn Jahren“ und er fragt: „Sind wir noch brauchbar?“. Seine Antwort:
„Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker, sondern schlichte, einfache, gerade Menschen werden wir brauchen. Wird unsere innere Widerstandskraft gegen das uns Aufgezwungene stark genug und unsere Aufrichtigkeit gegen uns selbst schonungslos genug geblieben sein, dass wir den Weg zur Schlichtheit und Geradheit wiederfinden?“
Auch dieses Statement gibt mir zu denken. Ich frage mich: Was fördern wir in der theologischen Bildung – auch an der Akademie für Weltmission?
Mehr denn je brauchen wir Menschen mit Herz. Kopf und Bauch reichen nicht. Menschen mit Herz sind Menschen, die sich weder einseitig auf ihren Verstand verlassen, noch sich von ihren Emotionen treiben lassen. Es sind Menschen mit Charakter.

Bernhard Ott
(Ph.D., Missiology, Oxford Centre for Mission Studies/The Open University, UK) Nach mehrjähriger Tätigkeit in einem Architekturbüro schwenkte Bernhard Ott schon sehr früh um. Er studierte Theologie und Miss ...
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01.04.2017