Keine Panik auf der Titanic

Ich gehöre zu einer sehr glücklichen Generation. Noch nie mussten wir in diesem Land Krieg oder flächendeckende Naturkatastrophen erleben. Gott sei Dank! Der Mangel an Erfahrung im Umgang mit Krisensituationen erklärt jedoch möglicherweise auch, weswegen einige innerhalb dieser Generation die aktuellen Herausforderungen und Einschränkungen als Vorzeichen für noch nie dagewesene Katastrophen oder gar das Ende der Welt deuten. Bisweilen ertappe ich mich deshalb dabei, ihnen zurufen zu wollen: Nur keine Panik auf der Titanic!

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Dieses geflügelte Wort ist bekanntlich vor einem sehr dramatischen Hintergrund entstanden: Als vor knapp 109 Jahren die RMS Titanic mit einem Eisberg kollidierte und schließlich im Nordatlantik versank, herrschte an Bord zunächst tatsächlich keine Panik. Das lag zum einen daran, dass das Schiff aufgrund seiner hervorragenden technischen Ausstattung als unsinkbar galt, und zum anderen an einem Mangel an Kommunikation, der dazu führte, dass viele Menschen erst relativ kurz vor dem Untergang überhaupt von der Kollision erfuhren.

Wirkliche Überlebenschancen hätten die Opfer des Untergangs jedoch wohl nur gehabt, wenn sich ein weiteres Schiff in der Nähe der Titanic befunden hätte. Tragischerweise berichteten mehrere überlebende Crewmitglieder, dass genau dies der Fall gewesen sei und sich ein weiteres Schiff in Sichtnähe der Titanic befunden habe. Hierbei handelte es sich vermutlich um die SS Californian, deren Crew jedoch die Notraketen der Titanic für ein heiteres Feuerwerk hielt. Darüber hinaus war der Funker der Californian bereits zu Bett gegangen, und überhaupt wurde der noch relativ jungen Funktechnik im Jahre 1912 keine allzu große Bedeutung beigemessen.

Was können wir also aus der Titanic-Katastrophe für die aktuelle Situation lernen? Wichtig erscheinen mir hier drei Punkte:

Erstens: Naive Technikgläubigkeit ist unklug. Genauso wie die Titanic nie unsinkbar war, sind auch heutige Online-Alternativen kein Allheilmittel oder gar ein Ersatz für die echte Begegnung mit Menschen.

Zweitens: Die kategorische Ablehnung technischer Entwicklungen ist ebenfalls nicht hilfreich. Wie das Beispiel der SS Californian zeigt, können uns auch viele gute Möglichkeiten entgehen, wenn wir technische Errungenschaften ignorieren.

Drittens: Es ist grundsätzlich wichtig, aufeinander zu achten. Wären die Hilferufe der RMS Titanic richtig gedeutet worden, hätte womöglich viel Unheil verhindert werden können. Ebenso ist es in der aktuellen Situation wichtig, Mitmenschen im Blick zu behalten und ggf. Hilfe zu leisten. Laut Paulus besteht hierin gewissermaßen der Kern christlicher Ethik: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Galater 6,2).

Magnus Großmann
(Ph.D., South African Theological Seminary) ist in Deutschland und Südafrika im Bereich Jugendarbeit aktiv, Mitglied der Forschungsgemeinschaft christlich-messianische Begegnung und zweiter Vorsitzender von ...
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Bildnachweis: Foto Wikipedia (gemeinfrei), Collage AWM

16.02.2021